Grand prix du rendez- vous

  Im Gegensatz zur landläufigen Redewendung scheint »das Leben«, wenn es schon mal »spielt«, oft nicht ohne Gestaltungswillen vorzugehen, sondern sich eher um allgemeingültige Denkwürdigkeiten zu bemühen. Besonders gelungen geht dies der Form der Begegnung vonstatten, jenem doch - a priori - auf die äußerste Subjektivität zugespitzten Zusammenprall zweier oder mehrerer ontischer Entitäten, die noch im Minimalkontakt auf Verschränkung und Aufhebung des Gegensätzlichen der Einzelsubjekte abzielt. Der Rang einer echten theologischen Kategorie ist ihr - soweit sie außergeschlechtlich stattfindet - seltsamerweise trotzdem bisher versagt geblieben, zu Unrecht; denn es gibt etliche, die beredt zu uns sprechen, die uns mahnen und trösten wollen. Einerseits vermerkt z.B. der Fernsehkommissar Erik Ode zwar resigniert: »Ich war überfordert, an der Wahl von Hindenburg zum Reichspräsidenten irgend etwas zu ändern.« (»Der Kommissar und ich«, S. 77). Andererseits hat Peter Frankenfeld, als er das greise Staatsoberhaupt tatsächlich leibhaftig vor sich hatte (als Kellnerlehrling im Hotel Adlon), ihm beherzt eine ganze Eisbombe weggefressen, die für ihn in einem Nebenraum abgestellt war. (»Das war mein Leben«, S. 70/71.)
Mit Edelhagen verstand ich mich gut, er äußerte sich nie feindselig gegenüber der DDR und verhielt sich stets loyal. Und er war ein guter Musiker« resümiert wiederum Karl Eduard von Schnitzler seine Erinnerungen an den beliebten Tanzorchesterchef. (»Meine Schlösser oder Wie ich mein Vaterland fand«, S. 139.) Er traf den Bandleader häufig auf Musiktourneen, die dieser - oft genug mit Frankenfeld als Conferencier - absolvierte und die ihn auch in das Vaterland aller Werktätigen führte, wo es ihm ja offensichtlich gelang, das Eis des Kalten Krieges zu brechen.
Hohe Zeit also für unsere Bibel- und Bischofskonferenzen, Konzile und Zentralkomitees, jene Kränze und Strahlenbündel des Numinosen, die das Dasein sich da unablässig selber flicht, endlich zu würdigen, strahlt doch von ihnen bisweilen schon ein Gran jener überirdischen Integrität ab, die uns hoffentlich alle dermaleinst allversöhnend umfangen wird. Von ihrem segensreichen Stiften soll das folgende Dutzend von Matches, Zwiegesprächen und Bagatellen künden:
 
Bruno Kreisky vs. Udo JürgensTheodor W. Adorno vs. Charlie ChaplinKarl Valentin vs. Adolf Hitler

Rudolf Schock vs. Hans AlbersPeter Rühmkorff vs. Yassir Arafat

Heidi Kabel vs. Wolfgang BorchertJoseph Beuys vs. Heinz Sielmann

Peter Frankenfeld vs. Max FrischHenry Kissinger vs. Hildegard KnefKlaus Kinski vs. Ingo Insterburg

Maria Schell vs. Jewgenni JewtuschenkoRobert Havemann vs. Albert Schweitzer
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
  Tja. Ohne Zweifel alles hochkarätige Treffs und Gottesbeweise, von keinerlei konfrontationssüchtiger Talkshow-Hysterie oder beruflichen Verpflichtungen arrangiert, wie etwa die Gespräche, die »Konkret«-Herausgeber Hermann L. Gremliza mit Mick Jagger (Spiegel 39/1970, S. 22) oder - gemeinsam mit dem späteren »Hitler-Tagebücher«-»stern«-Chefredakteur Peter Koch - mit dem damals wild entschlossenen CDU-Reformer Manfred Wörner 1969 führte (Spiegel 42/1969, S. 38ff.), der beispielsweise auf die Frage: »Wollen Sie die SPD links überholen?« knapp replizierte: »Auf manchen Gebieten halte ich das für völlig problemlos.« Klaus Rainer Röhl, Vorgänger von Gremliza als »konkret«-Herausgeber, konnte sogar stolz sein, Gerd Heidemann selbst im Blatt zu haben, der seine Traven-Story hier ausführlich ausbreiten konnte und seine Kongostory schenkte, weil Nannen es abgelehnt hatte, diese Bilder von verwesten Leichen ausgerechnet vor Weihnachten, zusammen mit Backrezepten und gemütvollen Betrachtungen von Frau Sybille über altdeutsche Puppenstuben, zu veröffentlichen. (»Fünf Finger sind keine Faust«, S. 220) Über eine zeitweilige Frau, Ulrike Meinhof, berichtet er leider wesentlich lückenhafter. Zwar räumt er ein: Ulrike belebt jede Party... Ulrike tanzte wie eine Wilde, umschwärmt von männlichen Partygästen, langsam zu »Yesterday« ebenso wie zu dem folgenden »Dizzy Miss Lissy«, denn sie war der Revolutionskasperle (wie sie das später nannte), und am gelungenstem war eine Party, wenn man noch einen ausgeprägten konservativen Intellektuellen wie Coulmas oder Reich-Ranitzki oder prominente Liberale wie Bucerius oder Augstein dazu laden konnte, dann kamen alle auf ihre Kosten. (Ebenda, S. 235/236), aber ob es je zu einem Tanz mit einem der erwähnten Herren gekommen ist, bleibt unklar. Diffus ebenfalls die Frage, ob der kurzfristige Bundesfinanzminister und Bertelsmann-Chef Manfred Lahnstein, der Jazzer Klaus Doldinger und der DKP-Barde Dieter Süverkrüp gleichzeitig oder nacheinander Mitglieder der Düsseldorfer Dixieland-Formation »Feetwarmers« waren. Und, traurig genug: Eine Begegnung zwischen Gerhard Zwerenz und den Beatles wurde regelrecht verhindert: »Wir saßen im Hotel Bayrischer Hof am Swimming Pool. Die Sonne schien. Hier vom Dach des Hauses ging der Blick weit über die Stadt. Man war in die halbe Höhe der Türme gehoben. Föhn rückte die Alpen nahe. Ein Hotelmanager trat zu mir und verlangte mit wenig Aufwand an Höflichkeit, wir sollen den Raum verlassen. Ich vermutete ein Missverständnis und suchte den Fall diskret zu klären. Der Zerberus blieb hart. ›Die Beatles sind angekommen und wollen schwimmen. Kein anderer darf sich in diesem Raum aufhalten!‹ In den Augen des Hotelangestellten glomm die vollkommene Überzeugung von der Notwendigkeit seines Wunsches, der seiner gar nicht war, unser Abtreten aber verlangte wie Judith das Haupt des Holofernes. ›Hier sitzt Arthur Koester, ein alter weltberühmter Schriftsteller, wollen Sie den wirklich so einfach rausschmeißen?‹ fragte ich, weniger von der Wirksamkeit meiner Argumente überzeugt als begierig, die Reaktion des Domestiken gänzlich auszukosten, der dann auch folgerichtig erwiderte: ›Was kümmert mich ihr weltberühmter Schriftsteller, wenn die Beatles schwimmen wollen?‹ Wir verschwanden.« (Der Widerspruch, S. 274/275). Schade - kann man da nur sagen, den verbiesterten Frankfurter Revolutionär hätte ein Plausch mit den munteren Pilzköpfen sicherlich aufgelockert. Leider blieb es auch Christa Wolff versagt, Gottfried Benn wirklich zu begegnen - obwohl sie es sich in ihrem Roman »Kindheitsmuster« so lebhaft ausmalt. Vielleicht besser so: für den Dichterarzt und Offizier, der 1944 in die General-von-Stranz-Kaserne ihrer Geburtsstadt Landsberg an der Warthe versetzt wurde, wäre die Fünfzehnjährige eine zu heikle Versuchung gewesen.
Sehr unbefriedigend schließlich die zeitlebens ausgebliebene Audienz von Dieter Thomas Heck bei Arno Schmidt, für deren wünschenswertes Zustandekommen nicht nur der Umstand gesprochen hätte, daß Schmidt sein Spätwerk »Abend mit Goldrand« mit Bata Illic »Michaela« beginnen läßt. Auch beider tiefe Affinität zu Edgar Allan Poe, die Schmidt zu seinem Hauptwerk »Zettels Traum«, Heck laut eigenem Bekunden (»Der Ton macht die Musik«, S. 279) zu der Krimi-Schlager-Platte »Es ist Mitternacht, John« inspirierte, hätte sicher Brücken zwischen den beiden schlagen können - nicht zu reden von dem Hallo, das es gegeben hätte, wenn die beiden zufällig auf die Hamburger Gesangslehrerin Prof. Henny Wolff zu sprechen gekommen wären. Eben jene wuchtige, vornehme Dame mit einer akzentuierten Aussprache und einer Brille, die sie fast nie aufsetzte, sondern an einem Silberkettchen über ihren ausladenden Busen baumeln ließ, die Dieter Thomas Heck in mütterlicher Strenge sagte: ›Carl Dieter, warte ab- ich mache einen zweiten Fischer- Dieskau aus dir!‹ und mit ihm für seinen ersten Liederabend Franz Schuberts Winterreise einstudierte. (Ebenda, S. 73-76) Sie schrieb an Arno Schmidt einen Tag vor Weihnachten 1957:
Arno Schmidt Atheist? Allerdings!
Es ist mir ein dringendes Bedürfnis, Ihnen eine »Weihnachtsbotschaft« zukommen zu lassen, wie Sie sie verdienen! Ich bin empört, dass eine Zeitung vom Range der Welt dies Geschmier abdruckt, aus dem nur Galle und Bosheit spricht. Traurig, daß ausgerechnet Ihr »Bauch« diesen Krieg überlebt hat (um Ihren Kopf wäre es, wie Ihr Konterfei zeigt, auch nicht schade gewesen!), während unzählige der Besten dran glauben mußten. Pfui Teufel, kann man dazu nur sagen! Jedenfalls war es das erste und letzte, was ich von Ihnen gelesen habe!
(Der Rabe, Nr. XII, S. 67) Als Heck dann jedoch ohne ihr Wissen am 28. Januar 1959 in der Nachwuchssendung »Toi, Toi, Toi« mit einem eigenen Schlager auftrat, warf Henny Wolff auch ihn für immer hinaus. Sie spie förmlich noch ein »Tingeltangel« heraus und wies mir die Tür. (»Der Ton macht die Musik«, S. 76)
Die beiden hätten sich wahrhaftig viel zu erzählen gehabt, aber leider... Es kam nie dazu. Bleibt nur noch anzumerken, daß diese »Toi, Toi, Toi«- Sendung natürlich von niemand anderem als Peter Frankenfeld moderiert wurde.