Das Kabinett des Doktor Degenhardt

  2. Teil: Der Bischof und der Eskimo

  Für hinzugekommene Leser: Eine Anzahl Tatsachenbehauptungen zum Schaffen Franz-Josef Degenhardts ballte sich im letzten Heft zum frappierenden Thesenbündel: daß nämlich
a) Liedgut und Romanwerk des singenden Anwalts ein quasi balzacisch-zyklenhaftes Ganzes bilden,
b) innerhalb dieses Gefüges ein allmächtiger Wiederholungszwang bestimmte Figuren und Motive beständig reproduziert,
c) Degenhardt wesentlich mittels solcher Versatzstücke (u.a. Fußball, Tango, Behinderungen, Ahnenforschung, Tierdressur, Autoschrott) seine wachsenden Inspirationslöcher stopfte und
d) so eine Art Scheinverbleib in der Kulturszene aufrechterhalten konnte.


Zwei Tendenzen schienen außerdem seine Chansons und Romane unterirdisch zu dominieren: Eine vermutlich in Jugendzeiten bei Bombenangriffen und ähnlichen Kriegseinwirkungen erworbene Erregbarkeit durch Material – und Menschenzerstörungen sowie, wesensverwandt, rabiateste Aggressionsphantasien, die ihn selbst im Verfremdungsmuster weltweiten Klassenkampfs unterschwellig immer noch die gute alte Schulhofkloppe anpeilen ließen. Was nun noch um einige Quasi magische Bezüge zu erweitern ist, die im Lauf der Zeit immer heftiger durchbrachen. Schon von Berufs wegen galoppieren ja bei Künstlern ach zwei Seelen in der Brust nebeneinander her; jedoch war eine derart sich steigernde Kursabweichung wie bei Degenhardt bislang noch nicht zu finden. Gegenwärtig konstatieren wir einerseits nämlich die weiterhin beharrliche Parteinahme für den 1989ff. abservierten Staatssozialismus, anderseits fungiert als Gegenpol immer noch die unbezähmbare Sehnsucht nach wohlig-regressivem Aufgehen in atavistischen Urhorden, die beide neben den schon erwähnten Marotten auch noch Konstanten wie Frankophilie, bemühten Trinkerhabitus, Konsumkritik, Hassliebe zu westfälischer Bodenständigkeit, Sternbilder, idealkatholische Wehmutsanfälle und – die Sprechgesänge »Bumser Pacco« und »Scapa Flow GmbH« legen`s nahe – sinisterste PR-Spektakel-Begeisterung zum stimmigen Gesamteindruck fügen.
Vertieften Einblick in seine Gemütsverwerfungen konnte auch ein verblüffter Oliver Tolmein anlässlich eines konkret -Interviews im September 1990 gewinnen, als ihm der Volksfront-Sympathisant und Friedensbewegungsaktivist eröffnete, »die Seite, auf der das Volk stand«, sei »zuverlässig immer die falsche gewesen«, und er sei »darüber auch nicht glücklich«. Gelegentlich sehe er aber auch »andere Momente«.
»Lieder, wie ich sie mache, hat es zu allen Zeiten gegeben«, offenbarte er 1996 in einem großen taz-Portrait-Artikel, »gerade in Deutschland haben wir eine gute und alte Tradition solcher Songs, Walther von der Vogelweide, Paul Gerhardt, Georg Herwegh, Hoffmann von Fallersleben, Ernst Busch und so weiter«, und bei anderer Gelegenheit ließ er wissen, er schreibe »sozusagen nur für sich«, mit der »Personnage«, die er sich zurechtgedichtet und geträumt habe, spiele er »wie ein Kind mit seinen Puppen.«
Das Puppeninventar wurde maßgeblich gebildet durch ein Buch des Polarforschers Edward Nelson: »The Eskimo of the Melville Bay«, worin Leben und Brauchtum dieser Ureinwohner nebst ihrer Begabung für Telepathie und Schamanismus geschildert werden.
Degenhardt, dessen Schwäche für ungebundene Lebensformen sich zuvor gern in kleinen Reverenzen an Zigeuner oder den indianischen US-Army-Deserteur »P.T. aus Arizona« äußerte, muß das Werk schleichend ergriffen haben. Im zweiten Roman »Brandstellen« von 1975 ließ erst eine kleine, diversen Hippies zugedachte Randbemerkung aufhorchen: »Es gab aber welche, die empfingen die Botschaft früher als andere«, lesen wir da, »Sie verfügten über

Robbenblut und Moschusfelltamtam

ein besonderes Nachrichtensystem, ähnlich wie es bei einigen Indianern und finnischen Lappen funktioniert, also gedankenschnell und über Entfernungen weiter als Tagesreisen hinweg.«
Schon ein Jahr später setzte die Jugenderzählung »Petroleum und Robbenöl« die Iglu-Bewohner aber voll ins Recht – ein Jugendlicher Ich-Erzähler berichtet darin, wie sein Vater, ein Öl-Manager, durchdreht und Eskimo wird. Zuvor aber kommen die Eskimos aufgrund ungewöhnlicher Wetterunbilden samt Schlittengespannen übers gefrorene Meer und die norddeutsche Tiefebene, logieren im tief verschneiten Degenhardt-Geburtsort Schwelm in der Villa ihres Manager-Fans – und so können unverstelltes Naturvölkergebaren und habituelle Heuchelei des Zivilisationsmenschen ungehemmt aufeinanderprallen. Die eigene Eskimobegeisterung lässt Degenhardt dabei den jungen Erzähler in der Bibliothek des Vaters aufspüren: »Die Bücher, die mein Vater am meisten gelesen hatte – sie waren fast alle zerfleddert -, handelten vom Leben dieser Eskimostämme. Eine Seite in dem Werk von Edward Nelson: ›The Eskimo of the Melville Bay‹ war fast unleserlich. Auf ihr beschrieb der Polarforscher das große Schmausfest im Iglu von Mayak, dem einäugigen Schamanen, im Winter 1901, bei dem fünfundzwanzig Männer und Frauen innerhalb von zehn Tagen zwei Tonnen Robben- und Moschusochsenfleisch verzehrt hatten, Fische und Vögel nicht mitgerechnet, zwischendurch zum Tamtam der Moschusfelltrommel getanzt, geliebt und gesungen hatten, bis sie schließlich erschöpft und über und über mit Tran und Robbenblut verschmiert und ineinander verschlungen zusammengebrochen waren. An den Rand dieser Seite hatte mein Vater in seiner großen, dicken Schrift geschrieben: Das ist die Quelle! Daraus müssen wir wieder trinken!«
Was er dann etwas später bei sich zu Haus in der Waschküche auch ohne weiteres kann, denn die dort untergebrachte Eskimo-Sippe veranstaltet tatsächlich einen Neke-angi-y-uk (Festschmaus) mit anschließendem Tanz: »Das war was! Wogende, wiegende Leiber und flatternde Haare, kreisende Arme und zappelnde Beine. Die Speckfackeln flackerten, warfen zuckende Schatten an Ecken und Wände. Dazu das Wumwum der Moschusfelltrommel, das Stampfen der Füße und der kehlige Gesang der Ihlulik! Die Waschküche dröhnte und hallte.«
  Was an Degenhardt-Standards in diesem Ethno-Happening alles zur Fusion bzw. Apotheose gebracht wird, wird nur der Gesamtwerkskenner kompetent ästimieren – neben seiner Begeisterung für Tanz und gesellige Mahlzeiten wird dem Sänger insbesondere das mangelnde Reinlichkeitsempfinden der polaren Besucher entscheidende Verständnisbrücken gebaut haben – zieht sich doch von den »Schmuddelkindern« über all die, die sich schon in der »Väterchen Franz-Ballade« und sonstigen Liedern »nicht mehr wuschen«, durch all seine Schöpfungen ein Grundtongrimmigster Hygienefeindlichkeit. (»Uns Schmuddelkinder«, pflegt er in Zwischenansagen sein Publikum zu vereinnahmen; die »Ballade von den Weißmachern und was mit ihnen g`schehen muß« demaskiert den kapitalistischen Produktionsprozeß notabene in einer Seifenfabrik; vermutlich wurden sogar die seitenlangen Autoreparaturszenen dreier Romane nur eingebaut, weil sich die Romanfiguren dabei so wunderbar mit Öl einsauen können.)
Die Eskimophilie leistete Degenhardt auch fortan gute Dienste. Vorerst erzähltechnische: Seit dem »Robbenöl«-Buch löste sie häufig den bisher favorisierten »schicksalhaften Unfall« als Standard-Kunstgriff fürs retardierende Moment ab. Als es z.B. fünf Jahre später im »Liedermacher«-Roman drum ging, die Zwangsläufigkeit zu begründen, mit der Liedermacher Atten seine Kollegin Sulla Mincke (Degenhardt-Kreuzung von Ulla Meinecke und Nina Hagen) in einer Fernsehanstaltskantine kennenlernen mußte, waren prompt die Eskimos zur Stelle – auch Sänger Atten hatte schließlich seinen Polar-Guru stets parat.
Daß der polare Bann seitdem ungebrochen fortwirkt, beweist überdies ein Degenhardt-Lied über einen toten »Trommler« von 1994 – dort schildert er sich selbst unter einem solchen stehend:
»Jetzt muß ich sein Testament vollstrecken:/ Wovon er zum Schluß noch träumte, das schrieb er/ auf rotem Papier mit schwarzem Filzstift: er wollte noch mal auf Tour wieder gehen,/ hinauf in das Eis, hinauf in den Norden/ im Schlitten gefahren von einhundert Wölfen/ die Milchstraße durch zum Großen Bären/ und schauen ob noch das Reiterlein glitzert/am Sternenwagen vorn auf der Deichsel/ Ich werde ihn dort im Schneehaus begraben/ und auf seiner Brust die Stöcke ihm kreuzen.«
Über den plumpen Autorentrick hinaus scheint da also tatsächlich eine archaische Projektionswelt im Barden herumzuspuken; eine Art automatischer Selbstreizungsmechanismus, der ein kleines Binnenrepertoire stärkster Kindheits- und Jugendmomente aufs stets reflexauslösende Schlüsselwort bringt.
Erstes zweier typischer Beispiele hierfür: die ständig seine Figuren umflatternden Mauersegler – offenkundig Reminiszenz an seine wohl schöne jungkatholische Ministrantenzeit in der Schwelmer St. Marien-Kirche. Sie bringen ihm nämlich laut Altenburg-Interview die keusch-ätherische Stimmung »jener Responsorien und Litaneien an Maiabenden zurück, wenn die Mauersegler draußen schrien und der Fliederduft sich mit dem Weihrauch von drinnen mischte« – atmosphärisch am dichtesten heraufbeschworen im Lied »Feierabend« von 1965: Der ist »dick von Fliederduft«, während »Küster kichern in der Sakristei« und die Mauersegler »schreien und die Luft zersicheln«.
»Immer noch riecht es nach Weihrauch und Flieder und

Beiß, Stech, Speck und Meck-Meck-Meck

schreien die Mauersegler dazwischen« „vermerkte er unverändert 1981 im Lied »Aus und Vorbei« zu seiner Schwelmer Heimatkirche, und »Mauersegler schrillen am Abend in die ›Lauretanische Litanei‹« hieß es abermals 1995 in musikalischen Erinnerungen an die „Laute von damals“. Selbstverständlich hört man »das Geschrei der Mauersegler« in seinen Romanen mindestens ein Dutzend Mal – »Die Mauersegler schrien und jagten über die Dächer« ist nicht umsonst vorletzter Satz der »Zündschnüre«. Was Degenhardt dann im FAZ-Fragebogen unter der Rubrik »Lieblingsvogel« angab, dürfte niemanden mehr überraschen.
  Die irdische Gegenwelt zum metaphysischen Vogelgeschrei scheint für ihn dagegen das Bahngelände rund ums Schwelmer Eisenwerk zu repräsentieren, Schauplatz der »ersten sexuellen Freuden mit Freundinnen aus dem Viertel«.
Als Sinnbild vieldeutiger Verrufenheit kehrt das äußerlich eher nichtssagende Areal daher bei ihm quasi refainartig wieder: »Am Bahndamm, wo der Zug verkehrt/der von Schilda nach Schlaraffia fährt« hauste schon das Rumpelstilzchen seiner Anfangsjahre, dem sturzlangweiligen »deutschen Sonntag« wollten spazierengeführte Kinder dorthin entfliehen. »Der, der meine Lieder singt« (Liedtitel) kokettierte damit, sich zum Bahndamm ziehen zu lassen, um dort »Zigeunerweiber« zu jagen, am Bahndamm erlebten die »Zündschnüre«-Kids ihre Abenteuer, »Brandstellen«-Rechtsanwalt Kappel sitzt dort, wenn er über sein Leben nachdenkt, und 1971, im »Jahr der Schweine«, geriet er ihm gar zur RAF-Kämpfer-Metapher: »Am Bahndamm wird jetzt mancher unter den Zug gehetzt.«
Und noch 1996, auf dem bislang, letzten Album »...weiter im Text«, hatte der bedeutungsschwangere Gleisbereich mehrere Auftritte: Im Titelsong »liegen am Bahndamm die Tramps, die auf den Zug nach Santacher warten«, im Lied »Laute von Damals«, das prägende Kindheitsgeräusche bis zum Bombenabwurf aufzählt, »rollen Züge, die am Bahndamm rangieren«.
Mauersegler und Bahndamm – nur Degenhardt selbst wird wissen, mit wie viel nur ihm entzifferbaren Kürzeln und Chiffren er sein Oeuvre insgesamt gespickt hat. Reizklischees und Affektkdurchbrüche finden sich zuhauf, mit denen unser Mann in seinen ganz persönlichen psychovegetativen Shock-, Thrill-Crash-und Trauma-Szenarien herumkurvt – und sich unterwegs mit seinem Beiß-,Stech-,Speck- und Meck-Meck-Meck-Vokabular noch zusätzlich anschärft.
Auch den leidigen Koitus kreuzte er natürlich mit anderen Faibles, so dem für menschliche Gebresten, wenn im »Mißhandlungs«-Roman Richter Dörner seine wegen Hüftverkrüppelung mit einer Endo-Prothese ausgestattete Gattin à tergo nimmt, während sich beide über die Schularbeiten ihres Sohnes beugen; wenn sich im selben Buch der blinde Richter Vahlefeld vom Protokollführer Bockelmann im Werkstattkeller des Gerichts einen blasen lässt oder der französiche »Fremdarbeiter« Schang im »Zündschnüre« Roman eine hinkende Schusterstochter befriedigt. Daneben hat er an seiner Anatomie aber wohl vor allem eine Art Wünschelrute und Wegweiser zurück in seine pubertäre Bahndammwelt gefunden, was daran abzulesen ist, wie oft es bei ihm ans Schwanzvergleichen geht: Sei`s, daß »Mißhandlungs«-Richter Dörner seine Amtskollegen diesbezüglich in der Umkleidekabine, vorm Fußballspielen mustert oder Betrachter des im Zoo gelandeten »Gorillas« sich freuen, weil »sie sahen, sein Ding war kleiner/ als aus Pornofilmen bekannt«; sei`s, daß »Liedermacher« Atten sich über »Kavaliersschwänzchen« und »Schwanzattrappe« von Branchenkollege Ricki Reuter mokiert usw. usf.
Komplett wird dies facettenreiche Spektrum schließlich durch eine Galerie strotzviriler Stecher, deren Repräsentant er wohl selber ist; im liedgewordenen »Testament« wünscht er seiner Leiche zum offenen Sarg und dem »alten Schulweg« durchs »Schmuddelkinderviertel« als letzter Route, »daß er mir noch einmal steht«.
Beistehen – und zwar als Schutzpatron gemeinsam mit den Eskimos – wird ihm sein Genital bis dahin jedoch anderweitig müssen: um nämlich seine weiterhin mächtige Hassliebe zu Cattolicà einigermaßen in Schach zu halten.
Die dokumentiert sich über eine Figur aus dem weiteren Familienkreis, der ihm im See-

Karatekämpfer vs. Eskimo-Schamane

lenhaushalt seit langem den bad guy macht: Vetter Johannes Joachim, bundesweit bekannt geworden als Widersacher Eugen Drewermanns und seit Jahrzehnten der amtierende Erzbischof von Paderborn.
Der ist den Erziehungsgrundsätzen des Elternhauses nun wirklich in idealtypischer Weise gerecht geworden. Entsprechend hat Degenhardt in seinen Texten immer wieder Konstellationen herbeigeführt, die hohe geistliche Würdenträger mit den Vertretern seines eigenen Weltbildes konfrontierten, zu Erektions- wie Eskimo-Attacken: Berti Bischoff heißt, vielsagend genug, ein als Ministrant beschäftigter Schwachsinniger im Lied »Aus und vorbei«, und der hat in diesem Abschiedslied vom Katholizismus natürlich nichts Geringeres zu tun, als nach der Messe hinter dem Altar zu onanieren.
In verwandter Weise wird ähnliches auch in Romanen vermengt und abgehandelt: »Brandstellen«-Rechtsanwalt Bruno Kappeln und der »Liedermacher« Piet Atten haben als jugendliche Ministranten entweder Unzucht in geweihten Fronleichnamsfahnen getrieben oder an Beichtbräuchen gefrevelt, Kappel leistet sich zzgl. einen frommen älteren Bruder, Bruno, der Priester wird, mit dem er das Zimmer teilt und der »nachts, wenn er annahm, daß Bruno schlief, unter der Decke onanierte«, um am nächsten Tag dann wieder »lange unter dem Aluminiumkreuz« zu knien.
»Eine Zeitlang war ich fanatisch gläubig, war Messdiener, ging jeden Morgen in den Gottesdienst«, bekannte Degenhardt 1985 seinem Interviewer Altenburg. »Aber als Messdiener kamen mir auch die ersten Zweifel – zum Beispiel an der Eucharistie. Der Widerspruch zwischen den Ritualen am Altar und dem Verhalten besonders eines Pfarrers in der Sakristei – er fraß Hände voll Hostien, trank den Meßwein aus der Flasche und furzte demonstrativ - erschütterte mich anfangs, später tat ich ihm nach... Aber die Stufengebete am frühen Morgen in einer fast leeren Kirche, die Responsorien und Litaneien in den Andachten an Maiabenden, wenn die Mauersegler draußen schrien und der Fliederduft von draußen sich mit dem Weihrauch von drinnen mischte, das Augurenmurmeln in der Sakristei – das alles ist geblieben. Auch noch, nachdem ich mich später mit einigem Getöse aus diesem Gewölbe herausgesprengt habe, wie ich in ›Aus und vorbei‹ singe.«
Noch als katholischer Jungenschaftsführer, der mit Gruppen auf Jugendfreizeiten, Zelt- und Trampfahrten ging, wird Franz-Josef Degenhardt vermutlich nicht nur das Zimmer gelegentlich mit dem älteren religiösen Vetter geteilt haben, sondern auch an mehr als einem Lagerfeuer gemeinsam mit dem jungen Vikar zur Klampfe Fahrten – und Wanderliedgut angestimmt haben.
Und ihn für seine lupenrein antifaschistische Vergangenheit bewundert haben: Der ebenfalls in Schwelm geborene Johannes Joachim wurde noch auf dem Hagener Albrecht-Dürer-Gymnasium Mitglied und Jugendleiter im verbotenen katholischen Bund »Neudeutschland« und half 1941 mit, für den damals frisch geweihten Erzbischof von Paderborn, Lorenz Jaeger, eine jubelnde Begrüßung auf Hagens Straßen zu organisieren – eine Manifestation, die die Nazis so fuchste, daß sie den 15jährigen nach einer Gestapo-Haussuchung drei Wochen einsperrten und anschließend »wegen politischer Unzuverlässigkeit« vom Gymnasium warfen.
In der Nachkriegszeit unterstützt vom immer noch dankbaren Erzbischof Jaeger, mündete seine Klerikal-Karriere dann in immer höhere Weihen – während Franz-Josef ja spätestens seit den ersten Auftritten bei Radio Bremen und im »jungen theater« in Göttingen gänzlich andere Wege einschlug.
  Aber wohl nie aufhörte, weiter am gemeinsamen Hühnchen zu rupfen: Ganz direkt in »Petroleum und Robbenöl«, wo der Manager-Sohn, als eine ganze Corona von Vertretern des öffentlichen Lebens zum Empfang vor der Villa seines Vaters vorfährt, unumwunden mit der Wahrheit rausrückt:
»Der Bischof, ein Vetter meines Vaters«, heißt es da, »hatte einen japanischen Mönch mitgebracht, den er als Bruder Uchiki vorstellte, einen famosen Karatekämpfer.« Dem Gottesmann, der zunächst angeregt »mit der Frau des Bankpräsidenten gibbelt«, das Tischgebet spricht und über schickliche schnitte von Herrenbadehosen parliert, nützt der Begleiter letztendlich aber nichts: Als Eskimo-Schamane Mayak, ein Spottlied singend, den Saal betritt, um die gesamte Bagage zu verscheuchen, legt er den fuchtelnden Bodyguard »einfach sanft auf den Tisch« - unter dem episkopale Würdenträger derweil ängstlich zittert. Ein klarer Sieg des Eskimo-Barden über den Bischof-Vetter.
Noch wildere Erniedrigungsphantasien lebt Degenhardt im »Liedermacher« aus: Dort sind Sänger Atten, ein Bischof und Punk-Lady Sulla Mencke Gäste einer frappant der Bremer Talk-Show »3 nach 9« ähnelnden Veranstaltung, bei der Frau Mencke den verdatterten Geistlichen umstandslos mit ihren nackten Brüsten konfrontiert.
Ob Vetter Franz-Josef hier demnächst mal einhaken wird, bleibt also abzuwarten. Kaum umhin können wird er aber, noch mal irgendwie auf diese Meldung der FAZ vom 23. November 1995 zu reagieren:
»Ein falscher Bischof aus Zaire hat offenbar in ganz Deutschland kirchliche Würdenträger betrogen. Allein der Paderborner Erzbischof Johannes Joachim Degenhardt spendete dem ›Erzbischof von Kinshasa‹ 20.000 Mark aus seiner Privatschatulle. Der 30 Jahre alte Mann sitzt in Regensburg in Untersuchungshaft. Der Regensburger Bischof Manfred Müller war nach Angaben der Paderborner Staatsanwaltschaft nur zum Schein auf die Geldwünsche des vermeintlichen Klerikers

Sag mir, wo die Scheinchen sind

eingegangen und hatte die Polizei benachrichtigt. Als dieser das Geld in Empfang nehmen wollte, griffen die Beamten zu. Den Paderborner Bischof hatte der Betrüger als ›Kollegen‹ angerufen und ihm mitgeteilt, er sei in einer prekären finanziellen Lage. Sein in der westfälischen Bischofsstadt lebender Neffe und dessen drei Kinder wollten zum Begräbnis der Schwester in die Heimat reisen, könnten aber das Geld für die Flugscheine nicht aufbringen. Degenhardt half mit einem ›kurzfristigen Darlehen‹ und schrieb bereitwillig einen Scheck über 20.000 DM aus. Derzeit versuchen die Staatsanwaltschaften in Regensburg und Paderborn herauszufinden, wie viele kirchliche Würdenträger dem Mann Geld gegeben haben.«
Ob der singende Anwalt dahinter steckt? Und der Bischof sich rührt? Warten wir`s also ab.